zur praxis

Wir haben uns nicht um unsere Ruhe zu sor­gen.
Unser tiefes Wesen, unsere tiefe Natur ist schon ruhig.

aus einem Kusen (mündliche Unter­weisung während Zazen)
Von Philippe Reiryu Coupey
Zen-Mönch

zu SANZEN

Für Sanzen ist ein ruhiger Raum geeignet.
Sanzen ist ein inter­es­santes Wort. Meis­ter Deshi­maru hat dieses Wort in sein­er ersten Über­set­zung des Fukan­zazen­gi benutzt. Da er jedoch in einem anderen Kom­men­tar geschrieben hat, dass Sanzen soviel wie Zazen bedeutet, heißt es in den neueren Über­set­zun­gen: „Für Zazen ist ein ruhiger Raum geeignet.“ Aber Sanzen bedeutet mehr als ein­fach nur Zazen. San bedeutet hier „Zusam­menkun­ft, zusam­men­brin­gen“. Und Zen, das ist Zen.


Als Dōgen noch Schüler war, fragte er seinen Meis­ter: „Was ist Zazen?“
„Zazen ist Sanzen“, antwortete Nyo­jō, „mit einem Meis­ter prak­tizieren: Schüler und Meis­ter.“
Was bedeutet, mit einem Meis­ter prak­tizieren? Was ist ein Meis­ter, was ist ein Schüler? Im West­en ver­wen­den viele Übende nicht mehr die Worte „Meis­ter“ (mas­ter) und „Schüler“ (dis­ci­ple). Sie sagen stattdessen „Lehrer“ (teacher) und „Schüler“ (stu­dent). Wir find­en diese Begriffe recht schwach: als ob der Unter­richt vor­bei wäre, wenn man nach Hause geht.


Jed­er muss selb­st bes­tim­men, was das Wort „Meis­ter“ für ihn bedeutet. Aber für einen Schüler ist der Meis­ter der­jenige, der ihm den Weg, die Rich­tung, zeigen kann. Nicht nur durch seine Unter­weisung im Dōjō, durch sein Ver­hal­ten außer­halb, son­dern auch durch das, was er ist, jen­seits von sich selb­st und jen­seits des Schülers. Der Meis­ter ist der­jenige, der dem Schüler die Prax­is zeigt, indem sie gemein­sam üben: San, „Zusam­menkun­ft“. Er ist der­jenige, der die Unter­weisung seines eige­nen Meis­ters weit­ergeben kann, und der Schüler ist der­jenige, der für diese Unter­weisung und diese Prax­is empfänglich ist. Doch sie sind dann auch ver­tauschbar. Der Schüler nimmt den Meis­ter in die Pflicht zu üben, und umgekehrt; er nimmt den Meis­ter mit, und dadurch, dass der Meis­ter weit­erge­ht, nimmt dieser den Schüler mit. Außer­dem muss der Meis­ter nicht unbe­d­ingt am Leben sein; er kann tot sein. Ein Meis­ter ist – wenn er wirk­lich euer Meis­ter ist – nicht nur der Meis­ter im Leben, son­dern in Ewigkeit. Mein Meis­ter ist tot, aber ich werde immer sein Schüler sein. Meis­ter und Schüler sind vere­int in der Tiefe der Prax­is und des I Shin Den Shin-Geistes, von Herz zu Herz, von meinem Geist zu deinem Geist. Meis­ter und Schüler, Schüler und Meis­ter, das ist eine Beziehung; jed­er ste­ht im Dien­ste des Anderen – selb­stver­ständlich nicht für sich selb­st, son­dern für das Dhar­ma. Und die Arbeit eines jeden von uns, von euch, ist es, dieses Dhar­ma weit­erzugeben, automa­tisch, unbe­wusst und natür­lich – ohne es im Ger­ing­sten zu verän­dern. Weit­ergeben, was durch die Jahrhun­derte hin­durch weit­ergegeben wurde, und was in den kün­fti­gen Jahrhun­derten weit­ergegeben wer­den wird. Und das trotz euch, trotz uns, trotz mir, unwillkür­lich.
Für jeman­den, der nicht Schüler ist und diese Beziehung nicht ken­nt, wird die Prax­is immer schwieriger. Ich denke sog­ar, dass sie schließlich unerträglich wird. Und ich rede hier nicht von etwas, was ich gele­sen hätte, son­dern von dem, was ich gese­hen und erlebt habe, Men­schen, die nicht in dieser Meis­ter-Schüler-Beziehung sind, aber es gerne sein möcht­en. Oft hört man in Mondōs Fra­gen von der Art: „Wie kann man einen Meis­ter find­en? Soll ich einen Meis­ter suchen?“ Das ist aber schon die falsche Geis­te­shal­tung. In dieser Prax­is hil­ft einem nie­mand dabei, irgen­det­was zu find­en; und ich glaube auch nicht, dass es darum geht, zu suchen. Und, außer wenn die Suche nach dem Meis­ter bedeutet, in sich selb­st zu suchen, werdet ihr niemals find­en. Denn let­ztlich ist man selb­st der wahre Meis­ter, das heißt, die eigene wahre Natur. Aber um den inneren Meis­ter zu find­en, ist der äußere Meis­ter notwendig.

Aus: Philippe Coupey
Tun und Lassen — Kom­mentare zum Fukan­zazen­gi
Kapi­tel 2